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Viel zu heiß – Warum Sie Ihr Gehirn in Sicherheit bringen sollten

Hitze oder Hysterie?

Das Temperaturempfinden von Menschen ist ja äußerst unterschiedlich. Bei kalten Temperaturen um 0°Celsius mag der gemeine Sizilianer bereits frierend auf der Straße fluchen, weil sein gemeiner FIAT bei der Kälte den Geist aufgibt, wohingegen der gemeine Finne bei gleicher Temperatur in verzückter Frühlingsstimmung den obersten Hemdknopf öffnet.

Ähnlich ist es bei Hitze. In der derzeitigen Situation leiden viele unter ihr, andere wiederum genießen die hochsommerlichen Tage. Vielleicht gehören auch Sie zu letzterer Gruppe und sagen sich: „Das Wetter ist wie ich: Ü30 und echt heiß!“ (Glückwunsch zu dieser positiven Selbstsicht). Braucht es da überhaupt einen Blog über den Umgang mit Hitze? Oder machen wir uns unnötig verrückt?

Allen individuellen Vorlieben zum Trotz: Tatsächlich beeinflusst die Hitze uns bereits dann negativ, wenn sie uns noch gar nicht unangenehm ist. An „heißen Tagen“ (Lufttemperaturen über 30°C, Definition Deutscher Wetterdienst) fühlen wir uns insgesamt erschöpfter und verfügen nicht über die volle geistige Leistungsfähigkeit. Hohe Außentemperaturen bringen unser Gehirn sogar schneller an (messbare) Grenzen als Kälte.

 

Sie sind heiß!

Eine gute Nachricht zu Beginn: Ihr Gehirn schmilzt nicht bei den hohen Temperaturen. Und es wird auch nicht anfangen zu kochen. Sie müssen also keine Entlüftungslöcher in Ihren Schädel bohren.

Als Organ ist es hohe Temperaturen sogar gewohnt: Ein Team von der Cambridge University untersuchte mithilfe einer sog. Magnetresonanzspektroskopie die Gehirntemperatur bei 40 gesunden Probanden zwischen 20 bis 40 Jahren. Die Forscher stellten fest, dass die durchschnittliche Hirntemperatur 38,5 °C betrug [1]. Unser Gehirn arbeitet im gesunden Regelfall also streng genommen an der Grenze zu dem, was wir unter der Zunge bereits als leichtes Fieber bezeichnen würden. Und in bestimmten Regionen fuhr das Gehirn am Tag sogar bis auf 40°C hoch. Nachts sank die Temperatur dann wieder wieder etwas. Die Gehirne von Frauen waren übrigens im Durchschnitt etwa 0,4 °C wärmer als die von Männern. Den Grund dafür kennt man nicht. Natürlich drängen sich hier dem (männlichen) Autor eine Menge klischeehafter Erklärungen auf, die schnell in anzügliche Witze abdriften könnten. Wir wollen uns das an das an dieser Stelle sparen und halten stattdessen fest: Tief in uns drin sind wir alle ziemlich heiße Typen!

 

Hitze senkt die Leistung und steigert die Aggressivität

Trotzdem das Gehirn als Organ hohe Temperaturen verträgt und die wesentlichen Steuerfunktionen zunächst fehlerfrei aufrechterhält, fallen hochgeistige Prozesse bei Hitze schwer. Der Befund ist eindeutig, nicht dagegen die Ursache. Viele Faktoren können zu dem Defizit beitragen: Eine zu geringe Flüssigkeitsaufnahme am Tag oder eine vergleichsweise schlechtere Nachtruhe bei überwarmen Schlafzimmern. Kürzlich konnten mehrere Studien nachweisen, dass auch die neuronale Integrität unserer Nervenzellen bzw. das Zusammenspiel zwischen Nervenzellgruppen bei länger anhaltender Hitze gestört ist. Das mindert ihre Funktionstüchtigkeit und verschlechtert unsere geistige Leistung.

Konkret: Alle 2 Grad oberhalb der Wohlfühltemperatur von ca. 22°C sinkt unsere Denkleistung um mehr als 10%. Das ist eine Menge. Gehen Sie mal zum Thermometer Ihres Büros und lesen Sie die Temperatur ab: Wenn es im Zimmer 26°C warm ist, können Sie davon ausgehen, dass Ihre geistige Leistung ca. 20% geringer ist als üblich. Diese Leistungsverluste treten übrigens nachweislich auch dann noch auf, wenn die Außentemperatur nach dem Ende einer Hitzewelle schon wieder sinken, weil es in den meisten Innenräumen nämlich noch einige Tage danach heißer ist als sonst [2].

Auch andere hochgeistige Leistungen sind von der Hitze beeinträchtigt, bspw. das Treffen kluger Entscheidungen: So zeigte eine Reihe von Experimenten, dass Menschen bei hohen Temperaturen weniger sorgfältig nachdachten, bevor sie sich für ein Produkt entschieden, das man ihnen anbot. Die Probanden hatten in der Untersuchung die Wahl zwischen zwei Telefontarifen, bei denen ein Tarif definitiv teurer und schlechter war als der andere, sich aber im ersten Moment attraktiver las. In einem kühlen Raum wählte deutlich mehr als die Hälfte der Probanden den besseren Tarif, in einem heißen Raum war es nicht mal jeder vierte [3]. Die meisten wählten das schlechtere Angebot. Passen Sie also auf, wenn Sie ein Verkäufer bei Vertragsabschluss in einen unklimatisierten Raum führt und um eine Unterschrift bittet.

Gefühle von Reizbarkeit und Aggressivität steigen dagegen in der Hitze, auch Gewalttaten nehmen statistisch signifikant zu [4]. In einer Studie der Illinois University korrelierte die Anzahl der Polizeieinsätze in Städten bei heißem Wetter mit der Außentemperatur an dem jeweiligen Tag [5]. Der Grund hierfür ist vermutlich das Hormon Vasopressin. Eigentlich reguliert es die Gefäßweite. Aber seit einigen Jahren wissen wir, dass es auch für aggressive Gefühlswallungen eines Menschen mitverantwortlich ist. Steigt das Vasopressin bei Hitze, steigt daher auch das Gefühl von Reizbarkeit. Wenn Sie also das nächste Mal von Ihrem Kollegen im Büro angeschnauzt werden, bleiben Sie cool. Vielleicht ist ihm einfach nur zu heiß. Öffnen Sie ihm liebevoll das Hemd. Das Entkleiden könnte de-eskalierend wirken, weil es den aufgeheizten Kollegen etwas herunterkühlt.

 

Kopfschutz bei hohen Temperaturen

Es versteht sich von selbst, dass Sie Ihr Gehirn vor direkter Sonneneinstrahlung schützen sollten. Insbesondere kleine Kinder mit großem Schädel und Männer ohne Haar auf selbigem sind von den Folgen häufiger betroffen. Die Auswirkungen der direkten Licht- und Wärmestrahlung auf unseren Kopf, darunter Hitzekollaps, Hitzschlag und Sonnenstich, habe ich in der Podcastfolge Viel zu heiß  aus meiner Reihe Gehirn Gehört behandelt. Hören Sie gerne einmal hinein.

Wer dennoch im Freien arbeiten möchte oder muss, braucht regelmäßige Runterkühl-Pausen und außerdem einen wirksamen Kopfschutz. Helle Hüte oder Mützen sind bekanntermaßen zu bevorzugen, da sie das Sonnenlicht besser reflektieren. Eine Sonnencreme nützt hier übrigens nichts. Sie schützt die Haut zwar vor ultravioletter Strahlung, und damit vor der Bildung von Hautkrebs. Die Wirkung der Hitze wird jedoch durch Infrarotstrahlung verursacht. Dagegen sind Cremes machtlos. Ziehen Sie also lieber einen Hut auf. Und ein Rat für die glatzköpfigen Männer: Lassen Sie sich endlich wieder Ihre Haare wachsen. Wenn Sie das schaffen, verraten Sie mir bitte wie.

 

Das richtige Klima

Um bei der Arbeit im Büro leistungsfähig zu bleiben, bedarf es des richtigen Klimas. Die allgemeine Wohlfühltemperatur für das Gehirn liegt etwa bei 28°Grad. Gemessen bei Nacktheit. Dadurch, dass die meisten am Arbeitsplatz für gewöhnlich irgendeine Form von Kleidung tragen, liegt die gefühlte Büroptimaltemperatur ein paar Grad niedriger, nämlich bei ca. 22-23°Grad. Das ist Studien zufolge auch in etwa die Temperatur der höchsten geistigen Produktivität [6].

Klimaanlagen an besonders heißen Tagen sind daher unverzichtbar, wenn Sie einigermaßen vernünftig arbeiten wollen. Die Temperatur muss auch gar nicht allzu tief eingestellt werden. Die Faustregel lautet: 6-8 °Grad niedriger als die Außentemperatur. Untersuchungen haben gezeigt, dass dies bereits für einen kühlenden Effekt ausreicht und dabei hohe Stromkosten vermeidet. Bei zu kalter Temperatur ziehen sich dagegen die Blutgefäße in der Haut zusammen, Blutdruck und Kreislaufaktivität steigen dann an. Und falls Sie danach wieder in die Sonne gehen, ist das Schwitzen umso stärker und die Erschöpfung erfolgt rascher. Weniger ist hier eindeutig mehr.

Auch Ventilatoren im Büro können sinnvoll sein. Mitunter liest man zwar, sie brächten nichts, weil sie die Luft ja nicht abkühlten. Stimmt, aber sie bringen sie in Bewegung. Und damit ermöglichen Sie Konvektion, durch welche die Wärme vom Körper hinweggeweht wird. Bei Nutzung von Ventilatoren hilft daher auch lockere Kleidung. Denn ein eng sitzendes T-Shirt lässt keine Konvektion zu, und Sie berauben sich der Möglichkeit, dass ein Windzug die Wärme von der Haut abtransportieren kann. Wer weitgehend nackt arbeiten darf, genießt den größten Effekt durch die Konvektion.

 

Trinken und Essen Sie richtig

In jeder Friseurzeitschrift können Sie derzeit lesen: „Trinken Sie ausreichend!“ So weit, so banal. Aber wie viel eigentlich? Die Angaben hierzu beruhen fast nirgends auf wissenschaftlichen Experimenten. Die allseits bekannten 1,5 Liter pro Tag gelten als grobe Orientierung im Winter. Bei heißem Sommerwetter verbrauchen Sie jedoch bis zum Dreifachen.

Sie brauchen es aber dennoch nicht übertreiben mit dem Trinken und sich zu 5 Litern Wasser zu zwingen. Bedenken Sie, was Sie als wasserhaltige Nahrung an dem Tag aufgenommen haben. Auch Joghurts, Saucen, Obst und Salate liefern Wasser. Sie werden in der Flüssigkeitsbilanz nur oft vergessen. Zur Wahrheit gehört: Mehr hilft nicht immer mehr, denn höhere Wassermengen können wir im Körper nicht speichern so wie flüssiges Erdgas in Terminals. Ein zu hohes Blutvolumen kann den Kreislauf und das Nierensystem belasten. Außerdem kann zu viel (hypotone) Flüssigkeit bei gleichzeitigem hohen Salzverbrauch durch Schwitzen das Blut „verdünnen“. Infolgedessen sinkt das Natrium, wesentlicher Elektrolyt jedweder Zellfunktionen, auch im Gehirn. Die Folge sind u.a. Schwindel, Kopfschmerzen oder Erschöpfung. Schieben Sie Ihre Schläfrigkeit dann nicht auf die hohen Temperaturen. Vielleicht haben Sie einfach zu viel geschwitzt und zu viel Leitungswasser getrunken. Sie wären nicht das erste Hitzeopfer, das sich als Hyponatriämie entpuppt.

Gott sei Dank haben Sie einen verlässlichen Messfühler für die richtige Menge an Flüssigkeit: Ihren Durst! Ihm können Sie vertrauen. Trinken Sie, wenn Sie ihn verspüren. Lediglich ältere Menschen sollte man an regelmäßige Flüssigkeitszufuhr erinnern, denn das Durstgefühl lässt im Alter oftmals etwas nach.

Geeignet sind -neben Leitungs- und Mineralwasser- auch verdünnte Obst- und Gemüsesäfte, Früchte- und Kräutertees oder sogar Suppen. Denn sie alle enthalten neben dem Wasser auch Mineralstoffe und Elektrolyte. Weniger geeignet sind dagegen stark gesüßte Getränke. Denn zu viel Zucker entzieht dem Organismus Flüssigkeit. Je konzentrierter das Getränk ist, desto mehr Flüssigkeit zieht es aus dem Körper in den Magen-Darm-Trakt. Das Getränk kann im schlimmsten Fall also einen gegenteiligen Effekt haben und eher zu einer Dehydrierung beitragen.

Die Getränke sollten übrigens nicht zu kalt sein. Unser Verdauungsapparat wärmt jede Flüssigkeit nämlich erst einmal auf die warme Betriebstemperatur des Körpers hoch. Vorher geht nix in die Blutbahn. Alles andere wäre lebensgefährlich. Wenn Getränke zu kalt sind, entziehen Sie dem Körper vergleichsweise mehr Energie. Ein „eiskaltes Bier“ (oder dessen Vielfaches) löscht zwar ganz wunderbar den Durst, aber dass es zu einer „inneren Kühlung“ beiträgt, ist leider eine Stammtischwissenschaft. Als allgemein gesellschaftlich akzeptierte Begründung für ein Glas Bier (mehr) an heißen Tagen mag es natürlich in Zukunft auch weiterhin dienen. Auch wir Wissenschaftler sind da jetzt mal nicht so.

Beim Essen sollten Sie an heißen Tagen leichte Nahrungsmittel bevorzugen. Insbesondere das Verdauen von Proteinen ist sehr energieintensiv und erzeugt sehr viel Wärme. Ggf. könnten Sie also den Eiweißanteil etwas reduzieren, also vielleicht etwas weniger Fleisch oder Hülsenfrüchte. Das Verbrennen von Kohlenhydraten ist für den Organismus vergleichsweise weniger anstrengend – ein gutes Argument für mehr Vanilleeis an heißen Tagen.

 

Konsequente Fiebersenkung

Natürlich sind heiße Tage nicht immer gleich Klima, sondern zunächst einmal Wetter. Es hat sie immer gegeben, nur sprach von 30 Jahren niemand davon.

Und dennoch ist es nicht von der Hand zu weisen, dass Hitzewellen in unseren Breiten zunehmen. Sie kommen häufiger, dauern länger und werden intensiver: Aktuellen Berechnungen von Wissenschaftlern in einer Arbeit der Fachzeitschrift Lancet zufolge wird die Durchschnittstemperatur in Deutschland bis 2050 zwischen 1,0 und 1,3 °C ansteigen. Bis 2100 sollen es sogar 3,7 °C sein [7]. Besonders betroffen von dem Temperaturanstieg werden dabei die Innenstädte sein. Das deutsche Umweltbundesamt geht davon aus, dass für jedes Grad Celsius Erderwärmung pro Jahr zw. 1-6% mehr Menschen an Hitze sterben werden, also, selbst bei defensiver Rechnung, mindestens 5.000 Menschen pro Jahr mehr [8].

Das Thema ist also im Hinblick auf unsere Zukunft relevant. Das Tragen von hellen Hüten, die Nutzung von Klimaanlagen und Ventilatoren, sowie der Konsum von Kräutertees und Vanilleeis wird nicht ausreichen. Wir brauchen strategische Maßnahmen, u.a. um die Trinkwasserversorgung auch in Trockenzeiten sicher zu stellen und die Städte zu begrünen, um Arbeits- und Lebensräume auf natürliche Weise zu verschatten und herunterzukühlen.

Lassen Sie uns alles tun, das Fieber unserer Erde zu senken. Selbstverständlich mit kühlem Kopf, aber konsequent in der Sache…

 

Literatur

1.         Rzechorzek, N.M., et al., A daily temperature rhythm in the human brain predicts survival after brain injury.Brain, 2022.

2.         Cedeño Laurent, J.G., et al., Reduced cognitive function during a heat wave among residents of non-air-conditioned buildings: An observational study of young adults in the summer of 2016. PLOS Medicine, 2018. 15(7): p. e1002605.

3.         Cheema, A. and V.M. Patrick, Influence of Warm versus Cool Temperatures on Consumer Choice: A Resource Depletion Account. Journal of Marketing Research, 2012. 49(6): p. 984-995.

4.         Anderson, C.A., Heat and Violence. Current Directions in Psychological Science, 2001. 10(1): p. 33-38.

5.         LeBeau, J.L. and W.T. Corcoran, Changes in Calls for Police Service with Changes in Routine Activities and the Arrival and Passage of Weather Fronts. Journal of Quantitative Criminology, 1990. 6(3): p. 269-291.

6.         Seppanen, O., W.J. Fisk, and Q.H. Lei, Room temperature and productivity in office work. HB 2006 – Healthy Buildings: Creating a Healthy Indoor Environment for People, Proceedings, 2006. 1: p. 243-247.

7.         Watts, N., et al., The 2019 report of The <em>Lancet</em> Countdown on health and climate change: ensuring that the health of a child born today is not defined by a changing climate. The Lancet, 2019. 394(10211): p. 1836-1878.

8.         Bundesumweltamt, Gesundheitsrisiken durch Hitze. 2022.

 

Beitragsbild Kopfsachen, Viel zu heiss

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Es wäre mir eine große Ehre und Freude, wenn ich Sie künftig mitnehmen dürfte auf meine Reise durch die Welt von Geist und Gehirn.

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