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Die „Paarantäne“ und Ihre Folgen: Beziehungen in der Krise – Interview IDOWA

Die „Paarantäne“ und Ihre Folgen: Beziehungen in der Krise – Interview IDOWA

Patrick Beckerle (REDAKTION IDOWA)

Interview geführt mit Melanie Nusko, Straubinger Tagblatt

 

Laut einer Umfrage der Partnervermittlung Parship hat während des Lockdowns mehr als jeder Fünfte mehr Zeit mit dem Partner verbracht, als ihm oder ihr eigentlich recht ist. Welche Auswirkungen hat das auf die Beziehung? Kann der Lockdown zur Zerreißprobe für Paare wer- den? Und wie kann man trotz räumlicher Nähe Distanz schaffen? Die Antworten darauf kennt Dr. Volker Busch. Er ist Facharzt für Neurolo- gie sowie für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Regensburg.

Herr Busch, was sagen Sie zu den Ergebnissen der Umfrage?

Busch: Das Schöne an dieser Umfrage ist ja erst einmal, dass sie zeigt, dass die große Mehrheit mehr Zeit mit dem Partner offen- sichtlich schätzt. 20 beziehungsweise 27 Prozent sind ja in jedem Fall die Minderheit. Das ist eine gute Nachricht.

Können Sie erklären, was es mit der Psyche von zwei Menschen macht, wenn sie plötzlich viel mehr Zeit auf viel weniger Raum miteinander verbringen?
Busch: Eine Beziehung ist grundsätzlich immer eine feine Gratwanderung zwischen Nähe und Distanz. Menschen, die diese Gratwanderung gut beherrschen, erleben Beziehungen oft als beson- ders schön und wenig einengend. Das gelingt allerdings nicht allen. Ich sehe in meiner Ambulanz viele Menschen, die Schwierigkeiten mit ihrer Beziehung haben, weil sie die Gratwanderung nicht richtig hinbekommen. Das ist im Alltag auch nicht ganz leicht und durch die Herausforderungen der Corona-Pandemie noch einmal schwieriger geworden. Paare verbringen viel Zeit in den ge- meinsamen vier Wänden und können sich nicht so einfach aus dem Weg gehen – das birgt für alle erst einmal großes Nervpotenzial.

Wo sehen Sie im Zusammenleben zweier Menschen denn die größten Konfliktfelder?

Busch: Im normalen Alltag außerhalb der Pandemie hat jeder Mensch seinen Job, seinen Freun- deskreis, seine Hobbys – trotz viel Zeit mit dem Partner hat man auch noch ein Eigenleben. Das kann eine Beziehung in vielen Fällen stabilisieren. Durch die Corona-Pandemie fällt das aber ak- tuell weg. Kein Kino mit Freunden, kein Stammtisch, kein Sportverein mehr. Räume, in denen man sich ein bisschen aus dem Weg gehen konnte, sind jetzt weg. Stattdessen verbringt man die meiste Zeit zusammen. Und das ist schwierig. Dazu kommt noch, dass viele Paare natürlich auch ein Team sein müssen, sogar mehr als vorher. Zum Beispiel bei der Versorgung der Kinder. Das hat bislang vielleicht die Oma übernommen oder die Kinder waren bis Mittag in der Schule. Jetzt müssen sich die Eltern selbst um alles kümmern, darum wird ein Teil der Zweisamkeit einer Be- ziehung nun zu einer Pflichtübung. Das birgt Konfliktpotenzial und war so im Alltag davor nie notwendig.

Glauben Sie, dass die Unsicherheit durch die Corona-Krise psychische Probleme begünstigt?

Busch: Absolut. Unsicherheit hat selten eine befreiende Funktion. Oft hat sie eine beängstigende, beklemmende und auch empfindlicher machende Wirkung. Man wird empfänglicher für Negatives, ist schneller traurig, wird nervöser – all das können Folgen von Unsicherheit sein. Und gerade empfinden wir alle Unsicherheit, weil aufgrund der Pandemie niemand weiß, wie es weitergeht. Die Politik fährt auf Sicht, ihr bleibt ja auch nichts anderes übrig. Horizonte und Leitplanken fehlen, man kann für die Zukunft nur wenig planen. Die Unsicherheit macht alles schwieriger.

Zu Beginn der Krise war in diesem Zusammenhang oft vom Begriff der „Resilienz“ die Rede. Damit ist die psychische Widerstandskraft ge- meint, die gegen negative Gefühle abhärten soll, korrekt?

Busch: Das ist prinzipiell richtig, ich würde aber nicht den Begriff „abhärten“ verwenden. Resilienz sorgt nicht dafür, dass Sie keinen Stress haben oder all dem völlig widerstehen. Sie können genauso betroffen sein, aber Sie erholen sich schneller. Es macht Sie nicht hart, Sie werden eher wie ein Gummiband, das trotz Belastung wieder zurückschnellt. Das wird oft falsch verstanden.

Kann denn eine Beziehung dabei helfen, resilienter zu werden?

Busch: In den meisten Fällen ja. Eine gute Beziehung bringt Vertrauen, Freundschaft und emotionale Tiefe. Solche Beziehungen sind sehr stützend und ein ganz starker Resilienzfaktor, einer der stärksten, den wir haben. Allerdings kann man nicht pauschal sagen, dass eine Bezie- hung gut für die Resilienz ist. Es kommt auch auf die Qualität der Beziehung an. Und hier gibt es auch Fälle, in denen eine Beziehung zur Be- lastung wird. Denken Sie zum Beispiel an Menschen, die Opfer von häuslicher Gewalt werden. Das ist zwar nur ein verhältnismäßig geringer Anteil, aber für die Betroffenen ist das natürlich sehr schlimm. Dann wird die Beziehung zum eigentlichen Stressfaktor.

Welche Rolle spielt die Länge der Beziehung? Halten Beziehungen, die schon längere Zeit andauern, zwangsläufig auch mehr aus?

Busch: Mit Begriffen wie „zwangsläufig“ wäre ich an dieser Stelle vorsichtig, es gibt ja so viele Beziehungsmodelle, dass man nie pauschal über alle Menschen urteilen kann. Aber es stimmt, für die Mehrheit der Menschen gilt das. Je länger eine Beziehung hält, desto weniger schlimm wirken sich die Folgen der Pandemie darauf aus. Einfach, weil man gemeinsam schon einiges durchgemacht und auch Tiefen erlebt hat. Man kennt den anderen gut und weiß, wo man Rücksicht nehmen muss und wie man ihn nicht verletzen darf. Und davon profitieren diese Beziehungen in der jetzigen Corona-Krise natürlich. Frisch verliebte Paare tun sich dagegen deutlich schwerer.

Langweiligkeiten des Alltags holen junge Paare ein. Weshalb?

Busch: Bei jungen Paaren ist die Beziehung noch von einem gewissen Reiz, einem Zauber des Nichtalltags getragen. Sie können am Fluss- ufer sitzen und Wein trinken, wunderbar tanzen gehen oder jeden Abend Sex haben – aber sie sind es nicht gewöhnt zu streiten, wer die Spül- maschine ausräumt. Wenn bei solchen Paaren jetzt ein harter Lockdown zuschlägt und sie von den Langweiligkeiten des Alltags eingeholt werden, kann das die Beziehung auf die Probe stellen. Das sehe ich auch in meiner Ambulanz, hier kommen aktuell eher frisch Verliebte und junge Paare, die Probleme haben. Paare, die schon 20, 30 Jahre eine gute Ehe führen, haben dagegen auch mit dem Lockdown eher keine Probleme.

Haben Sie einen Ratschlag für Menschen, die merken, dass ihnen die aktuelle Situation über den Kopf wächst, aber ihre Beziehung auch nicht gefährden wollen?

Busch: Ich komme bei dieser Frage wieder auf die Gratwanderung zwischen Distanz und Nähe zurück. Man muss sich auch jetzt, wo man viele Aufgaben und Verpflichtungen hat, weiterhin gegenseitig Freiräume zugestehen. Man sollte seinem Partner den Rücken freihalten, da- mit er auch Zeit für sich hat, das ist ganz wichtig. Dafür sollte man Empathie mitbringen, schauen, was ihm oder ihr guttut, wie man helfen und unterstützen kann. Ein anderer Punkt, den ich persönlich für maßlos unterschätzt halte: Ein Paar sollte auch wirklich ein Paar bleiben, es sollten nicht nur funktionierende Eltern oder eine Wohngemeinschaft sein. Paare brauchen weiter Zeit für sich, in der nur sie beide im Mittel- punkt stehen. Das kann auf ganz unterschiedliche Weisen geschehen und muss nicht zwangsläufig Sexualität sein. Man kann sich zum Bei- spiel gemeinsam ein Projekt vornehmen. Etwa den Keller ausräumen, den Garten neu gestalten, eine Grillecke einrichten. Man kann zusam- men Neues schaffen oder sich gemeinsam ein Hobby suchen – Zeit dafür hat man ja jetzt genug. Paare können sich so gemeinsam neue Räume erarbeiten, in die kein anderer hineinkommt. Und das halte ich für wichtig, dass man sich dieses Persönliche, diese Intimität auch im Lockdown bewahrt. Wenn das gelingt, gelingt auch die Beziehung.

 

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