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Vorsicht Angsträume – Interview Mittelbayerischen Zeitung

Interview Mittelbayerische Zeitung, Erscheinung 08.02.2024

 

Dunkle Straßen, verwinkelte Tiefgaragen, leere Plätze: Ganz bestimmte Orte können zum Fürchten sein. In der Forschung gibt es den Begriff Angsträume: Was ist darunter zu verstehen?

Volker Busch: Angstraum ist ein Begriff, der aus der Städteplanung kommt. Er bezeichnet einen Raum, an dem Menschen Angst empfinden. Das sind öffentliche Plätze wie Parks, die unübersichtlich und dunkel sind. Oder bestimmte Stadtviertel, wo wenig Infrastruktur ist.  Manchmal sind es auch ganz konkret Orte wie Treppenhäuser oder Tiefgaragen.

In Regensburg ist die Sicherheitslage am und rund um den Bahnhof ein großes Thema. Viele Menschen sagen, dass sie sich dort nicht sicher fühlen. Haben wir es mit einem Angstraum zu tun?

Busch: Ganz genau. Dadurch, dass wir Zeuge werden von Übergriffen und Überfällen und das gleichzeitig relativ viel medial präsentiert wird, entsteht im Empfinden der Menschen dort ein Angstraum. Das ist in vieler Hinsicht sicherlich leider auch gerechtfertigt. Es ist zwar nicht der einzige Angstraum in Regensburg, aber einer, der mitten in der Stadt liegt, was eher unüblich ist. Dadurch, dass durch den Fürst-Anselm-Park auch ein Schulweg führt, ist es besonders erschreckend.

Tagsüber durchqueren Tausende den Fürst-Anselm-Park. Nachts deutlich weniger. Warum fürchten sich Menschen in der Dunkelheit?

Busch: Weil wir einen Großteil unserer Umwelt – über 85 Prozent – visuell erfassen. Natürlich hören, riechen und fühlen wir auch unsere Umwelt. Aber insbesondere durch die visuelle Erfassung der Welt um uns herum entsteht Orientierung und Stabilität. Genau das geht verloren, wenn es dunkel ist. Das kann jeder ausprobieren, der die Augen zumacht und sich bewegt. Schnell ist man unsicher unter den Füßen, manchen wird rasch schwindelig. Wenn das Sehen weggenommen wird, geht eine ganz wesentliche Verankerung in der Welt verloren. Dies ist bei Dunkelheit der Fall.

Aber es gibt noch einen weiteren Grund: Über Dunkelheit erzählen die Menschen schon seit Jahrhunderten Geschichten, die mit Angst und Verbrechen zu tun haben. Das Motiv der gefährlichen Dunkelheit wird in vielen Erzählungen aufgegriffen und ist daher bereits in Kindesalter in unseren Köpfen.

Warum hilft Licht gegen die Angst?

Busch: Weil Licht immer etwas aufdeckendes hat. Es macht etwas Verborgenes sichtbar. Man sieht dabei selbst nicht nur selbst besser, man wird auch besser gesehen. Dadurch fühlt man sich dann auch in Angsträumen nicht mehr so allein. Leider sind heute so viele Menschen mit Ihren Handys beschäftigt, dass ich mir nicht sicher bin, ob im Fall einer realen Gefahr sofort Leute helfend herbeieilen würden. Aber es geht mehr um ein Gefühl: Wenn es hell ist, fühle ich mich sicherer.

Nachts allein im Park – Ist es normal da Angst zu haben?

Busch: Ja, das ist absolut normal und nicht krankhaft. Es ist eine Erfahrung, die wir schon in der Kindheit machen. Wir alle erinnern uns, dass es oft ein gruseliges Gefühl war, allein in den Keller zu gehen. Oder die Angst, dass ein Monster unter dem Bett liegt. Angst gehört also bereits früh in unserer Entwicklung zu uns. Die Wissenschaft zeigt übrigens, dass Angst eine menschliche Konstante fast jeder Kultur und jeder Epoche ist.

Wie unterscheiden sich normale Ängste von krankhaften Angststörungen?

Busch: Angst zu haben, ist prinzipiell völlig normal. Es ist auch nicht krankhaft, Angst vor Überfällen, einer Erkrankung zu haben, oder davor verlassen zu werden. Krankhaft wird die Angst, wenn sie sich entweder wahllos auf alles Mögliche im Leben bezieht, oder in einer Intensität vorhanden ist, dass die normale Lebensqualität stark beeinträchtigt wird. In diesen Fällen wird Angst zu etwas Krankheitswertigem und Behandlungsbedürftigem. Ein anderer Grund ist, wenn die Ängste psychotischen Ursprungs sind, beispielsweise wenn ich Angst davor habe, dass mich Außerirdische entführen und mir einen Gehirnchip einpflanzen, der die ganze Zeit nur Volksmusik spielt. Solche Ängste sind meist Zeichen einer Psychose, die ebenfalls behandelt werden sollte.

Warum beginnen Angsträume für Frauen früher?

Busch: Das hat zum einen damit zu tun, dass Frauen – statistisch – viel öfter Opfer von Verbrechen wie einem Überfall oder einer Vergewaltigung werden. Der zweite Grund ist, dass Frauen sich in der Regel schlechter wehren können, weil sie körperlich doch meist unterlegen sind, erst recht, wenn Männer in Gruppen auftreten.

Kann man sich Ängste abtrainieren?

Busch: Ja. Die Neigung, mehr oder weniger schnell in Angst zu geraten, bleibt zwar in den meisten Fällen Teil unserer Persönlichkeit bzw. Temperaments, aber man kann Ängste, die einen im Leben stark beeinträchtigen, heute sehr gut psychotherapeutisch, ggf. auch in Kombination mit einer vorübergehenden angstlösenden Medikation, behandeln. Aber der Begriff „abtrainieren“ ist aus meiner Sicht nicht gut gewählt. Er suggeriert, dass man Ängste komplett los werden kann. Und das ist eigentlich nie das Ziel. Ängste haben ja ihre Funktion. Es geht beim verhaltenstherapeutischen Umgang mit Ängsten mehr darum, sich so mit ihnen zu arrangieren, dass sie einen nicht überwältigen bzw. handlungsunfähig machen. Menschen sollen also lernen, sich aus ihrem Klammergriff zu befreien, statt sich ihr passiv auszuliefern. Jede erlernte Handlungsmöglichkeit reduziert das Gefühl von Angst. In diesem Zusammenhang können auch Pfeffersprays und Selbstverteidigungskurse hilfreich sein, weil Betroffene eine Strategie an die Hand bekommen, was im Fall der Fälle zu tun ist. Ob man die Griffe dann im Zweifelsfall anwenden kann, ist noch mal etwas anderes. Aber es ist in jedem Fall beruhigend und angstlösend, in einer drohenden Situation vorbereitet zu sein.

Wie kann ich die Angst in akuten Momenten bekämpfen?

Busch: In der Verhaltenstherapie versuchen wir, Betroffenen sogenannte Angstregeln beizubringen. Zunächst geht es darum, die Angst zuzulassen. Die Akzeptanz des unliebsamen Gefühls reduziert bereits einen Teil der Nervosität und Unruhe.  Eine zweite Angstregel besteht darin, ihre Signalwirkung zu verstehen. Damit wird sie vom Gegner zum wohlwollenden Freund. Eine dritte Angstregel ist: Ich kann immer meinen Körper etwas beruhigen – mit einer tiefen Atmung zum Beispiel. Wenn man Menschen beibringt, über die Bauchdecke tief ein und auszuatmen, dann können sie ihr Anspannung effektiv herunterfahren. Mit anderen über die Angst sprechen, ist eine weitere Möglichkeit im Umgang mit ihr, denn die meisten Ängste wollen wir keinem zeigen, wir machen sie stattdessen mit uns aus. Wenn man lernt, es ist nichts Schlimmes, ich rede darüber, dann normalisiert man auf diese Weise sein Gefühl. Man merkt außerdem schnell, dem anderen geht es oft genauso. Und vielleicht die wichtigste Angstregel ist, trotz seiner überwältigenden Angst zu üben, Freiheitsgrade zu bewahren. Es geht darum, sich darauf zu besinnen, was man trotz einer aushilflos scheinenden Situation tun kann. Das ist oft mehr, als man denkt. Und sich dieser Möglichkeiten bewusst zu werden und sie zu „trainieren“ ist eine mächtige Waffe im Kampf gegen tägliche Ängste.

Welche Effekte hat die mediale Berichterstattung über Angsträume?

Busch: Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Denn Angst entsteht nicht nur aus der eigenen Erfahrung. Angst entsteht auch über die Geschichten, die wir uns erzählen oder von medialen Bildern, die wir sehen und hören. Durch die digitalen Möglichkeiten erreichen sie täglich unser Wohn- oder Schlafzimmer. Ob sie wahr sind oder nicht, spielt für die Entstehung von Angst keine Rolle. Wir überlegen, was wäre, wenn uns das passiert, oder unserem Kind, oder unserem Lebenspartner? Das Bedrückende ist, dass diese Ängste ja durchaus in vielen Fällen berechtigt sind. Die ungute Situation rund um den Bahnhof ist ja nicht an den Haaren herbeigezogen, sondern real. Für Menschen, die in der Nähe wohnen oder jeden Tag den Weg durch den Fürst-Anselm-Park nehmen müssen, wird das zu mittlerweile zu einem nachvollziehbaren Angstraum. Das muss man ernst nehmen und die Stadt muss hiergegen etwas unternehmen.

Haben deshalb jetzt sogar Menschen Angst, die selbst noch nie Opfer einer Straftat wurden, dort langzugehen und sagen, ich möchte nicht, dass meine Kinder dort unterwegs ist?

Busch: Ja, genau. Ängste entstehen nämlich nicht nur durch eigene Erlebnisse in der Vergangenheit, sondern auch aus dem, was wir an Möglichem in die Zukunft projizieren.

Können Polizeipräsenz und Videoüberwachung das Sicherheitsgefühl erhöhen?

Busch: Absolut. Wobei man ganz klar sagen muss: Polizeipräsenz erzeugt mehr gefühlte Sicherheit mehr als Videoüberwachung, weil sich Menschen vor allem durch andere Menschen sicher fühlen, die schützend zur Seite stehen. Das gilt für Wachleute oder die Polizei. Videokameras können das nicht ersetzen. Sie zeichnen das Geschehen zwar auf, helfen aber weder im unmittelbaren Moment, noch kann man danach sicher sein, dass die Aufzeichnungen zu irgendetwas führen.

Muss man eigentlich jede Angst überwinden?

Busch: Nein. Wir alle dürfen Ängste haben, ohne dass wir sie überwinden, geschweige denn therapieren müssen. Beispiele sind Ängste vor Spinnen oder vor der Höhe. Im schlimmsten Fall würde man von Phobien sprechen, die Sie jedoch im normalen Leben nur selten beeinträchtigen werden, solange Sie nicht Zoowärter oder Pilot werden wollen. Aber die Angst auf dem Weg zur Schule, die Angst bei einem Spaziergang im Park überfallen zu werden, oder die Angst an einem Bahnhof Opfer einer Gewalttat zu werden, gehören ganz eindeutig nicht dazu.

Sie werden da gerade ganz ernst. Bei Angsträumen ist der Staat gefordert?

Busch: Ja.  Der Staat muss dafür sorgen, dass die Bevölkerung hier sicher ist. Dafür zahlen wir nicht nur Steuern, sondern das ist auch eine moralische Verantwortung. Das kann nicht in den Aufgabenbereich des Einzelnen fallen nach dem Motto: Lerne damit umzugehen, nimm nötigenfalls eine Therapie in Anspruch. Das wäre der falsche Weg. Wenn in unserer Stadt Angsträume entstehen, dann müssen strategische Lösungen gefunden werden, die eindeutig in die Zuständigkeit kommunaler Politik fallen.

 

 

Interview mit Christine Straßer, MBZ

Prof. Dr. Volker Busch, Neurologe und Psychiater, Wissenschaftler

Autor des Buches „KOPF HOCH – Mental gesund und stark in herausfordernden Zeiten“, ab 1. März im Droemer Verlag

KOPF HOCH - Mental gesund und stark in herausfordernden Zeiten

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Es wäre mir eine große Ehre und Freude, wenn ich Sie künftig mitnehmen dürfte auf meine Reise durch die Welt von Geist und Gehirn.

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