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Buschtrommel: Märchen statt Fischöl – Das beste Hirndoping an Weihnachten

Die folgende, letzte Buschtrommel dieses Jahres liegt mir besonders am Herzen. Es ist eine Geschichte über die Geschichte und ein Plädoyer für ein besonders nachhaltiges Geschenk für unsere Kinder an Weihnachten…

Die Kraft der Geschichte

Als Arzt und Referent baue ich immer wieder gerne spannende und herausfordernde Geschichten in meine Vorträge ein. Storytelling hat sich im Business und auf der Bühne seit Jahren bewährt. Auch Produkte und Dienstleistungen werden über emotionale Geschichten besser verkauft als über trockene Statistiken aus Hochglanzbroschüren. So steht es in jedem Vertriebshandbuch auf Seit 3. Gute Geschichten erzeugen kraftvolle Bilder, die den Zuhörer mitnehmen auf eine virtuelle Reise. Die Stationen dieser Reise sind immer wieder recht ähnlich: Man begleitet den Protagonisten der Geschichte, der unerwartet in eine Krise gerät, nach Lösungen für das Problem sucht und schließlich über alle Hürden und Hindernisse hinweg einen Weg findet die Situation zu retten. Am Ziel winken Glück, Liebe oder Reichtum. Modernes Storytelling verfolgt die gleiche Dramaturgie wie antike Tragödien bei Sophokles oder mittelalterliche Dramen bei Shakespeare. Awenn dort am Schluss immer alle sterben mussten, warum auch immer.

Wenn wir unseren lieben kleinen Märchen vorlesen, passiert etwas sehr Ähnliches. Kinder spielen das Erzählte in ihrem Gehirn lebhaft durch. Sie erleben die Probleme des Protagonisten hautnah, leiden mit ihm, suchen nach Antworten und entwickeln Lösungsstrategien. Das Eintauchen in die Fantasiewelt ermöglicht ihnen eine Art beschütztes Handlungsfeld, in dem sie erste mentale Erfahrungen mit widrigen Lebensumständen machen können, die es zu bewältigen gilt, ohne selbst dabei Schaden zu nehmen.

 

Märchen machen Mut

Die Botschaft der meisten klassischen Geschichten zwischen Grimm, Hauff und Andersen lautete stets: Glaube an dich, kämpfe für das, was dir wichtig ist, vertraue auf das Gute und lerne aus dem Schicksal. Das häufige Durchspielen solcher Geschichten schafft Reaktionsmuster, die Kinder in späteren realen Lebenssituationen brauchen, um eigene Krisen bewältigen zu können. Und neurobiologisch festigen sich auf diese Weise Synapsen derjenigen Hirnregionen, die zur späteren Problemlösung wichtig sind. So entsteht Mut und Selbstwirksamkeit.

Eine gute Geschichte steckt günstigenfalls nur den groben Rahmen ab, der Rest entsteht im Kopf des Zuhörers. Das erst macht sie lebendig und kraftvoll. Je tiefer die Immersion, desto höher die Vorstellbarkeit. Gute Märchen sind aus diesem Grund auch nie ganz konkret. Es ist eine Kunst sie so zu erzählen, daß sie Freiraum lassen für die eigene Ausgestaltung. Die Mutter von J.W.v.Goethe schrieb in einem Brief an ihre Freundin, daß sie ihrem Goldjungen immer nur einen Teil des Märchens erzählt hätte. Daraufhin hätte sich dieser den Rest der Geschichte immer selbst ausgedacht. Geschichten fördern die kreative Lösungsfindung, in dem sie anspornen Probleme zu Ende zu denken. Eine kürzlich publizierte Studie konnte hierzu passend belegen, daß es in den Gehirnen der Zuhörer sogar zu einer Aktivierung von Regionen für die motorische Ausführung einer Handlung kam. Beim Fernsehen ließ sich dies kernspintomographisch nicht zeigen. Geschichten bringen Dinge also regelrecht in eine Bewegung. Anders als beim Kinderkanal, sind Sie daher bei den Gebrüder Grimm immer mitten drin, statt nur dabei.

Geschichten dürfen sogar ein wenig gruselig, traurig oder rätselhaft sei, denn der geborgene Rahmen im eigenen Bett oder im Arm der Eltern schenkt Kindern das nötige Urvertrauen und bewahrt sie vor zu viel negativem Gefühlschaos. Auf diese Weise können sie selbst beunruhigende Situationen einer Geschichte im Kontext von Nähe und Begleitung sicher einordnen und bewältigen.

 

Vorlesen und das Gehirn

Trotzdem wir die Vorzüge des Vorlesens heute so gut nachweisen können, kommt es langsam aus der Mode. Die aktuelle Vorlesestudie 2019 stimmt mich nachdenklich: Ungefähr ein Drittel aller Eltern in Deutschland liest Kinder gar nicht mehr vor, nicht mal an Weihnachten. Väter tun es weniger als Mütter. Dagegen schauen Kinder im Grundschulalter bereits jeden Tag mindestens 60min fern. Nichts gegen TV-Konsum in Maßen. Aber Fernsehbilder sind Fertigware. Der Inhalt ist mehr oder weniger tot und muss lediglich konsumiert werden. Fernsehen lässt keinen Raum für Fantasie. Da sind selbst Videospiele noch inspirierender.

Eine Studie an 27 Kindern im Alter von 4 Jahren zeigte jüngst, daß hektisch geschnittene Fernsehbilder sprachliche Hirnareale sogar eher überforderte. Die Gehirne der untersuchten Kinder waren nämlich überwiegend damit beschäftigt überhaupt eine kohärente Geschichte zu erkennen. Das Erzählte wurde von den Kindern anschließend nicht annährend korrekt berichtet. Stattdessen zeigten andere Arbeiten, daß die sog. Hirnkonnektivität (d.h. das Maß des Zusammenspiels verschiedener Hirnzentren) bei reinen Hörgeschichten bei weitem besser als bei bewegten Fernsehbildern. Eine kürzlich veröffentlichte spektroskopische Untersuchung konnte sogar einen deutlich erhöhten Zellstoffwechsel in Vorderhirnabschnitten von Kindern nachweisen, denen Geschichten vorgelesen wurden. Das Vorderhirn ist der Ort der höchsten Reizverarbeitung und der Sitz von Arbeitsgedächtnis. Er ist entscheidend für die Ausbildung verschiedener Intelligenzleistungen. Im Vergleich dazu kam es zu einem reduzierten Hirnstoffwechsel derselben Kinder beim bloßen Ansehen von Bildern. Die Interpretation gesprochener Worte regt das Gehirn stärker an und förderte Verstehen und Verständnis.

 

Fazit für Sie

Angesichts der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen, vor denen wir stehen, redet die ganze Welt zurzeit von intelligenten Lösungen und deren entschlossenen Umsetzung.  Kreativität und Mut werden möglicherweise tatsächlich zwei der wichtigsten Rohstoffe nachfolgender Generationen sein. Möglicherweise wäre das Vorlesen und Besprechen von Geschichten ein lohnenswertes frühkindliches Invest in eine selbstwirksame Zukunft.

Lesen wir also wieder mehr vor. Begleiten wir unsere Kinder in einer liebevollen und behutsamen Atmosphäre durch spannende, herausfordernde und manchmal vielleicht auch traurige Geschichten, statt sie vor dem Fernseher sich selbst zu überlassen.

Weihnachten scheint mir hierfür gut geeignet. Bücher lassen sich sicher auch in modernen Wohnzimmern noch irgendwo finden. Kerzenlicht und Tee schaffen die nötige Stimmung. Nehmen sie sich Zeit und versinken Sie gemeinsam in einer berührenden Geschichte. Tiefe ist dabei entscheidender als Länge. Halten Sie immer wieder inne und beantworten Sie Ihren Kindern die Fragen, die sich auftun. Seien Sie Ihren Kindern ein guter Reisebegleiter auf dem Weg einer Geschichte, vom Problem bis zu seiner Lösung. Beobachten Sie, wie Ihr Kind die Geschichte verarbeitet. Fragen Sie nach möglichen Lösungen und hören aufmerksam zu, wenn Ihrem Kind etwas einfällt. Wenn Sie nicht mir glauben, glauben Sie Göthe’s Mum. Oder Albert Einstein, der einmal sagte: Wenn du willst, daß dein Kind intelligent wird, lies ihm Märchen vor. Und wenn du willst, daß es noch intelligenter wird, lies ihm mehr vor…

Lesen Sie schon oder schauen Sie noch?

Ich wünsche Ihnen gesegnete Weihnachten voller spannender Geschichten, die Ihr Leben schreibt…

 

 

Quellen:

Hutton J. Functional Connectivity of Attention, Visual, and Language Networks During Audio, Illustrated, and Animated Stories in Preschool-Age Children. Brain Connect. 2019 Sep;9(7):580-592.

Yabe M, et al. Effects of storytelling on the childhood brain: near-infrared spectroscopic comparison with the effects of picture-book reading, Fukushima J Med Sci, 2018 64(3): 125-132.

Kidd D, et al. Reading literary fiction improves theory of mind. Science 2013. Vol 342 (6156): pp 377-380.

Dan R. Johnson, Brandie L. Huffman & Danny M. Jasper (2014) Changing Race Boundary Perception by Reading Narrative Fiction, Basic and Applied Social Psychology, 36:1, 83-90.

 

 

 

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Es wäre mir eine große Ehre und Freude, wenn ich Sie künftig mitnehmen dürfte auf meine Reise durch die Welt von Geist und Gehirn.

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